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Ein Monat in Siebenbürgen

Ich stand vor der Baustelle, wo eigentlich die Zeitung sein sollte. Alles war staubig, ein paar Bauarbeitende sahen mich an. Ich lief ein paar Meter weiter zu einem Park, wo ich der Redaktion eine Mail schrieb.


Dort wartete ich. Ein Mann mit einem Hut machte wilde Kunststücke auf der gegenüberliegenden Straßenseite und ich fragte mich, was ich machen sollte, wenn das mit dem Praktikum doch nicht klappen würde. Doch in dem Moment bekam ich eine Antwort. Mein Herz schlug schneller, als ich wieder zur Baustelle ging, wo eine Frau bereits auf mich wartete. Sie winkte mir lächelnd zu und begrüßte mich. Dann folgte ich ihr durch den Bauschutt in einen Hinterhof, in dem Wein von den Wänden rankte. Wir stiegen durch eine kleine Tür in das Innere eines Gebäudes und sie begann, mir die Redaktion zu zeigen. Ein wenig unschlüssig folgte ich ihr. Die Frauen, die hier hauptsächlich die Zeitung produzierten, waren sehr offen und hilfsbereit. Bereits am ersten Tag lud die Chefredakteurin, die alle nur Beatrice nannten, mich zum Essen ein. Auf dem Weg zu einem Restaurant trafen wir ein befreundetes Ehepaar aus Deutschland, Lothar und Vroni, mit denen wir in einem kleinen Lokal in der Nähe der Redaktion Suppe aßen. Alle schienen sich hier zu duzen, das war mir sehr sympathisch. Sie zeigten mir noch die Stadt und ihr Lieblingscafé, dann musste ich wieder zurück zu meinem Keller, in dem ich noch eine Videokonferenz hatte.

Abends war ich völlig fertig, die ganzen neuen Eindrücke zogen mir viel Energie, doch ich war froh, so herzlich aufgenommen worden zu sein. Am nächsten Tag ging ich wieder zur Redaktion und begann an einer Rezension zu einem französischen Buch zu arbeiten, welches Beatrice mir gegeben hatte. Sie drückte mir auch einen Presseausweis in die Hand und bot mir an, am Nachmittag zu einem Vortrag zu gehen und darüber am nächsten Tag einen kurzen Bericht zu schreiben. Beatrice begleitete mich, als wir um vier aufbrachen, um einen Vortrag über die Erdbeben von Haiti zu hören. Lothar, den wir am Tag zuvor getroffen hatten, hielt ihn vor einer Gruppe Senioren, die ihm alle sehr gespannt zuhörten.

Der Artikel, den ich am nächsten Tag über den Vortrag schrieb, war der erste, den ich jemals für eine Zeitung geschrieben habe. Zwar hatte ich vorher bereits Übungsartikel verfasst und für einen internen Newsletter geschrieben, doch es war ein ganz anderes Gefühl, nun für eine richtige Zeitung zu schreiben. Ich bekam schnell viel Verantwortung. Schon am nächsten Tag ging ich allein zu einem Konzert, machte Fotos und schrieb darüber. Zunächst kam ich mir etwas hilflos vor, doch es wurde besser, je häufiger ich es machte.

Die Stadt an sich war sehr interessant und ich konnte sie noch nicht wirklich einschätzen. Die Gebäude erinnerten eher an Italien, überall waren kleine bunte Häuser mit steinernen Fassaden und in der Altstadt gab es eine bröselige Mauer mit vielen Bögen. In den Dächern der Häuser sah man oft augenförmige Fenster, die einen zu beobachten schienen. Später hörte ich, dass sie die Stadt bewachen sollten.

Die Menschen in Hermannstadt war ein wilder Mix aus Rumänen, Deutschen, Roma und anderen Kulturen. Es gab die unterschiedlichsten Kirchen, jeder schien hier an etwas anderes zu glauben, doch sie lebten alle friedlich zusammen und schienen sich gegenseitig zu respektieren. Viele Intellektuelle schienen sich auch in der Region von Siebenbürgen zu versammeln; ich traf viele Professoren, Autoren und Wissenschaftler, die sehr bodenständig in der Region lebten. Zentrum dieses ganzen Ortes für die Deutsch-Rumänen schien die Hermannstädter Zeitung zu sein, in der ständig Leute ein- und ausgingen, um sich mit Beatrice zu unterhalten, ein Buch vorbeizubringen oder einen Artikel für die Zeitung abzugeben. Egal mit wem ich redete, ich fühlte mich immer willkommen, selbst wenn die Rumänen in den Läden feststellte, dass ich bloß eine Touristin war. So etwas hatte ich selten in einem Land erlebt. Tagsüber war die Stadt meistens leer, doch abends strömten die Menschen durch die Altstadt und jede Woche schien es ein neues Kulturfest zu geben.

So kam es auch dazu, dass ich in meiner zweiten Woche fast jeden Abend zu einem Jazzkonzert ging, in das ich mit meinem Presseausweis gratis Eintritt hatte. In dieser Zeit besuchte mich auch mein Freund und es tat gut jemanden dabei zu haben, mit dem ich zusammen die Stadt entdecken konnte. Als Beatrice mitbekam, dass er mich besuchte, organisierte sie ihm schnell ein Eintrittsband, damit er mich zu den Konzerte begleiten konnte.

In der dritten Woche war ich wieder allein, dafür lernte ich eine andere Freiwillige kennen, mit der ich oft etwas unternahm. Im Gegensatz zu mir sollte sie jedoch ein Jahr in Hermannstadt bleiben. Ich unternahm auch häufig etwas mit Lothar und Vroni, die mir viel über die Geschichte der Stadt erzählen konnten und mich an meinem vorletzten Wochenende auf das jährliche Treffen der Siebenbürger Sachsen nahmen. Als wir zu dem Treffen fuhren, sah ich auch zum ersten Mal wirklich die Landschaft der Karpaten. Die Straße schlängelte sich durch Berge und Täler, grüne Hügel und vorbei an Ortschaften mit verfallenen Häusern. Manchmal mussten wir einer Kutsche ausweichen, die von einem Pferd gezogen wurde und auf dessen Anhänger sich oft mehrere Leute oder Hunde befanden. Die Roma nutzen diese Wagen noch immer. Ich hatte davon gehört, konnte es jedoch nicht wirklich glauben und war erstaunt zu sehen, dass sie wirklich noch mit Kutschen fuhren. In einem der Orte, durch die wir fuhren, standen drei Gebäude mit vielen kleinen Türmchen und Dächern, die orientalisch aussahen. Lothar und Vroni erklärten mir, dass das die Roma Paläste seien. An der Straße standen oft Leute, die Kupfer- oder Tonwaren verkauften. All das war eine völlig neue Welt für mich.


Als wir schließlich beim Treffen ankamen, sah ich viele Leute in Trachten. Frauen verkauften Textilien oder Essen und überall waren kleine Gruppen mit den verschiedensten Menschen. Beim Gottesdienst sammelten sich alle Leute in der kleinen Kirche des Ortes, die schnell gefüllt war. Eine Katze hatte sich mit hineingeschlichen und während der Predigt begann sie maunzend durch die Gänge zu laufen und ließ sich nicht mehr einfangen. Während des Gottesdienstes und auch in den Vorträgen danach ging es viel um das Thema Umweltschutz und soziale Gerechtigkeit. Durch Lothar und Vroni bekam ich viele Gespräche mit und die Themen um die es sich oft drehte; Demokratie und ihr Schutz. Es beschäftigte viele Leute sehr zu sehen, wie sehr sich der Rechtsruck in der Welt ausbreitete. Ich war überrascht wie links viele Menschen in dieser Region waren und zudem sehr dankbar, einen so tiefen Blick in die Kultur der Menschen zu bekommen.

Auf dem Rückweg erzählten Lothar und Vroni mir viel über ihre Reisen und auch davon, wie es vor zwanzig Jahren in dieser Region ausgesehen hatte. Oft hatte ich mich über die hohen Zähne um die Häuser gewundert, meistens mit Hunden, die sich vor allem in den Randbezirken der Stadt wiederfanden. „Die Leute grenzen sich ab von der Welt draußen und vor der Politik, die sich ständig wandelt.“, erklärten sie mir.

Zurück in meinem Keller dachte ich noch lange über diese zusammengewürfelte Kultur nach. In den Tagen darauf beendete ich meine zweite Rezension über ein weiteres französisches Buch zur Region. Die Zeitungen sammelten sich inzwischen auf dem Tischchen in meiner Kellerwohnung und es machte mich stolz, meine eigenen Artikel dort gedruckt zu sehen. Die meisten thematisierten Konzerte und Aufführungen.

Ich wollte gerne ein Auto mieten, um mir die Karpaten und Draculas Schloss anzusehen, doch ich war zu jung für jeden Autoverleih. „Dann musst du wohl nochmal wiederkommen.“, sagte Lothar lachend, doch ich wusste bereits, dass ich das tun würde. Die Freiwillige, die ich kennengelernt hatte, bot mir in meiner letzten Woche an, mit auf einen Empfang des Deutschen Konsulats zu kommen und ich begleitete sie und zwei andere, die auch in Hermannstadt ihr FSJ machten. Ich hatte erwartet, dass es chic werden würde, doch das Hotel übertraf meine Erwartungen bei weitem. Auch das Buffet war gigantisch, selten in meinem Leben hatte ich eine so lange Tafel gesehen. Viele Leute, die dort eingeladen waren, hatte ich bereits auf dem Sachsentreffen gesehen und ich traf auch Lothar, Vroni, Beatrice und eine andere Mitarbeiterin aus der Redaktion. Die anderen Freiwilligen und ich senkten jedoch den Altersdurchschnitt um einige Jahre. Zusammen verbrachten wir den Abend und fuhren schließlich zurück ins Zentrum.


Die letzten Tage in der Redaktion machten mich traurig, gerne wäre ich länger geblieben, ich hatte nicht erwartet, eine so offene Stadt zu treffen.

Schließlich kam mein letzter Tag. Lothar, Vroni und Beatrice luden mich zum Essen ein und ich verabschiedete mich von allen. In meinem Keller packte ich meinen Rucksack und bereitete mich auf meine Reise durch Rumänien und Bulgarien vor.



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